Die Guillain-Barré Seite

Infoserver über das Guillain-Barré Syndrom

Die Krankheit

Das Guillain-Barré Syndrom (akute Polyradikulitis) ist eine extrem seltene Nervenerkrankung, bei der die isolierende Myelinschicht des peripheren Nervensystems durch eine Autoimmunreaktion, praktisch von körpereigenen Abwehrzellen zerstört wird. Dadurch kommt es zu Lähmungserscheinungen der Gliedmaßen (Tetraparese) und aufsteigend eventuell sogar zu Atemstörungen, die eine künstliche Beatmung notwendig machen können. Wegen der Gefahr des Atemstillstands und eines möglichen Herzversagens ist unbedingt die Intensivstation (Literatur s.u.) für die ersten Tage angezeigt! Während einer künstlichen Beatmung mit Intubation kann der Patient nicht sprechen, eine Verständigung wird erleichtert durch den Gebrauch von sog. Huizen-Tafeln, sofern der Patient noch die Hände und Finger bewegen kann. Diese Huizentabellen können als Word-Dateien geladen werden: Huizen1 und Huizen2. Hier ist ein Link zu anderen Kommunikationshilfen bei Sprechunfähigkeit.


Typisch sind taubes Gefühl in Händen und Armen, ohne Verlust der Beweglichkeit, die Arme werden meist nur gering betroffen, aber die Gesichtnerven können gefährdet werden. Es kommt dann zu Sehstörungen, Doppelbilder, Beeinträchtigung der Augenbeweglichkeit. Reflexe können vollkommen verschwinden: Ellenbogen-, Knie-, Fußsohlenreflex, ... In der Regel wird diese Autoimmunerkrankung durch eine vorangegangende Infektion meist unbemerkt ausgelöst. Bakterien (Campylobacter jejeuni, Salmonellen) oder Viren (Schupfen, Grippe, Grippeimpfung, Kombinationsimpfungen z.B. Tetanus+Diphtherie+Keuchhusten) können Auslöser, ebenso wie chirurgische Operationen sein. Warum diese Krankheit ausbricht, ist vollkommen ungeklärt (idiopatisch), sie tritt sehr selten auf, ca. 0,4 bis 2 Fälle pro 100.000 Einwohner pro Jahr.

Die erste Behandlung besteht in einer Infusion von Gammaglobulinen (iVIG) in hoher Dosierung (0,5g/kg Körpergewicht) täglich über 5-6 Tage, Plasmapherese (Zellseparation, "Blutwäsche") oder in neuerer Zeit die Immunadsortion, bei welcher nicht das gesamte Plasma ausgetauscht wird sondern nur die schädlichen Auto-Antikörper aus dem Plasma selektiv entfernt werden. Letztere Methode hat den großen Vorteil, daß der Patient sein eigenes Blut nahezu komplett wiederbekommt und keine neuen Probleme durch das bei der Plasmapherese zugefügte Fremdplasma bekommt. Auch Kombinationen von ivIG und Immunadsorption können nützlich sein. Die Genesung verläuft in der Regel günstig, jedoch sehr langwierig in 6 Wochen, 2 Monaten, 6 Monaten oder in Jahren. Rückfälle sind möglich, Übergang in eine chronische Verlaufsform (CIDP, s.u.) ebenfalls. Auch können trotz aller Behandlungen einige Restbeschwerden übrig bleiben, die aber durch gezielte Physiotherapien beherrschbar werden.
Entscheidend ist eine schnelle Diagnose, je eher die Infusionen beginnen, um so weniger Nerven werden geschädigt, um so früher setzt die Genesung ein. Auch die Wiederholung einer iVIG oder Plasmapherese nach 3 bis 4 Wochen kann angezeigt sein, wenn sich nicht spontan die ersten Verbesserungen einstellen. Wegen der hohen Kosten der Immunglobuline wird dies häufig aus Unkenntnis abgelehnt, die Folgekosten einer mehrjährigen Invalidität sind aber um ein vielfaches höher.

Wie zeigt sich das GBS??


Unsicheres Gehen, Taubheit oder Kribbeln in den Füßen sollten als erste Anzeichen ernst genommen werden und sofort den Weg zum Neurologen veranlassen.
Es folgt: Erschwertes Gehen, der Verlust der Koordination beim Gehen, stärker werdende Schwäche bis zum plötzlichen Zusammenbrechen, schlaffe Lähmung der Extremitäten (Parese), die Beine sind meist stärker betroffen als die Arme und Hände. Von unten nach oben eventuell bis Atemzentrum aufsteigend. Ausfall der motorischen aber z.T auch der autonomen Nerven.
Auch Kopf- und Gesichtsnerven können bertoffen sein: Doppelbilder, unfähig Augenlider zu schließen, durch Ausfall des Lidschlagreflexes besteht die Gefahr der Austrocknung der Augen, Tränenflüssigkeit kann nicht mehr verteilt werden!!. Sprach- und Schluckbeschwerden werden ebenfalls beobachtet. Das GBS beginnt eventuell mit leichtem bis mittlerem Fieber, eventuell Erbrechen. Rückenschmerzen, Hautkribbeln, Taubheitsgefühle, Stechen wie mit Stecknadeln oder elektrisierend.
Auch die Schweiß- und Talgbildung der Haut kann sich verändern, Schuppenbildung der Kopfhaut, Juckreiz. (s. Pfeiffer, 1999)
Bewegungen werden, wenn noch möglich, "ataktisch", d.h. unkotrolliert, da nur noch Muskeln in einer bestimmten Richtung aktiviert werden können: Bewegungen lassen sich nicht mehr bremsen: beim Greifen nach einem Glas wird einfach der gesamte Tisch leer geräumt (Beugermuskel kann noch oder schon wieder aktiviert werden, Streckermuskel bleibt denerviert). Manche Mediziner meinen, mit Parkinson-Medikamenten (L-Dopa) hier helfen zu können, da diese Bewegungen äußerlich eine gewisse Ähnlichkeit mit denen von Parkinsonpatienten haben. Die Ursachen sind jedoch grundsätzlich verschieden und nicht vergleichbar. Beim Morbus Parkinson spielt der Defekt von gewissen chemischen Transmittersubstanzen (Dopamine) im Gehirn eine Rolle, beim GBS sind die peripheren Nerven geschädigt, ohne Isolierschicht haben sie praktisch "elektrischen Masseschluss".
Bei bestimmten Bewegungen können ganz andere Gliedmaßen bewegt werden als beabsichtigt, z.B. beim tiefen Luftholen bewegen sich plötzlich die Unterschenkel der Beine. Das muß nicht erschreckend sein, meist kündigt sich damit ein neuer Heilungsschub an. Wegen noch teilweise fehlender Isolierschicht werden Nervenimpulse schlicht auf benachbarte Nerven fehlgeleitet. So können bei aller Dramatik dieser Erkrankung manchmal sehr interessante und auch lustige Effekte bemerkt werden. Der eigene Körper wird neu entdeckt, wenn z.B. die sensorischen Reize von 3 kleinen kalten Wassertropfen auf dem Bein statt zum Gehirn geleitet zu werden, direkt von der nächstgelegenen "Nervensammelstelle", der Wurzel (Radikula) über einen motorische Nerv zum Beinmuskel geleitet werden und das Bein zu einem heftigen Ausschlagen veranlassen. Oder beim Eindrücken mit einem spitzen Gegenstand auf die Bauchdecke schlagen die Beine heftig zusammen. Es ist wie bei einem durchgeschmortem Kabelbaum in einem Auto. Es bilden sich komplett neue, vorher nicht dagewesene Reflexbögen, welche aber auch zu starken Muskelkrämpfen führen können. Derartige Muskelkrämpfe sind dann nicht zu stoppen und erst nach restlosem Verbrauch aller Energiereserven kommen sie zum Stillstand. Der Patient kann sich also erst im Zustand der totalen Erschöpfung wieder bewegen. Mit dem Schmerzmittel Tramal (Opiatabkömmling) verschwinden u.U. die Krämpfe vollkommen, allderdings mit dem möglichen Nebeneffekt einer größeren Übelkeit wie bei einer Seekrankheit mit Erbrechen, offensichtlich spielt dann das Gleichgewichtsorgan nicht mehr mit.
Infobroschüre der Deutschen Gesellschaft für Muskelerkrankungen.

Der Versuch dieses Krankheitsbild mit dem der ruhelosen Beine (RLS-Syndrom, restless legs) zu erklären und entsprechend behandeln zu wollen, versagt hier (s. Roche, http://www.pharma.roche.de/Krankheit/restlegs/rls_rls.htm), diesem Pharmahersteller sind keine Erfahrungen oder Literaturangaben bekannt, aus welchen zu schließen ist, daß derartige GBS-Zuckungen mit dem Parkinsonpräparat "Madopar" behoben werden könnten.

Für den Betroffenen und die Anghörigen ist diese Krankheit ein furchtbares Ereignis, was die Lebensplanung für lange Zeit wesentlich bestimmt. Sicherlich gibt es auch milde Formen des GBS, bei denen nur vorübergehende Taubheit gespürt wird und ein GBS als solches gar nicht erkannt wird, wenn die Heilung spontan erfolgt.

Das Miller-Fisher Syndrom wird als eine Variante des GBS betrachtet, bei dem besonders die Gesichtsnerven betroffen sind. Auch bei den Autoimmunantikörpern gibt es gewisse Unterschiede. Häufig handelt es auch um eine Überlappung von GBS und MFS. Träge Pupillenreflexe, Fehlen anderer Reflexe, Facialisparese, Ataxie (ruckartige Bewegungen der Arme), Lähmung der Augenmuskulator (Doppelbilder) sind typische Ausprägungen. Die Stimme kann sich in eine deutlich tiefere Lage verschieben, die Artikulation ist erschwert, Schluckbeschwerden treten auf.
Eindeutig nachgewiesen wird das Miller-Fisher Syndrom durch Auto -Antikörper gegen GQ1b-Globuline.

Hier einige Arbeiten zur Multifokalen Motor Neuropathie, einer anderen Störung des peripheren Nervensystems mit ähnlichen Auswirkungen wie CIDP. Siehe auch Definition der Multifokalen entmyelinitisierende Polyneuropathie, multifokale CIDP, Lewis-Sumner-Syndrom

Eine besondere Form ist die chronische Polyradikuloneuritis, auch chronische Polyneuropathie (CPN, amerikan.: CIDP), bei der in unregelmäßigen Abständen ein erneuter Ausbruch der Erkrankung stattfindet. Diese chronische Form wird behandelt mit Cortison, Azathioprin (Imurek), Ciclosporin (Sandimmun) oder anderen aus der Transplantationsmedizin bekannten Immunsupressiva.
Die Problematik dieser Behandlung besteht in den unerwünschten Nebenwirkungen dieser Medikamente. Sollte das GBS/CIDP durch bakterielle Infektionen ausgelöst worden sein und noch Reste der Keime im Körper überlebt haben, können diese sich weitgehend ungehindert wieder neu vermehren, da das Immunsystem ja ausgeschaltet wurde. Auch anderen Infektionen sind Tür und Tor geöffnet. Wird auch noch in Kobination Cortison verabreicht, so verdeckt dieses Medikament jede Entzündungs- und Infektionsreaktionen des Körpers. Infektionen werden also nicht oder erst sehr spät erkannt. Der Patient befindet sich also in einem wahrhaften Teufelskreis. Antibiotika sollten also immer zur Verfügung stehen, u.U. prophylaktisch genommen werden. Hinzu kommt, dass Cortison in höheren Dosen die Muskeln deutlich schwächt, was naturgemäß bei einem CIDP-Patienten, bei dem nur noch wenige Muskeln überhaupt innnerviert werden können, besonders fatal ist. Der Grad der Immobilistion wird durch die Medikation weiter erhöht. Die Haut wird durch Cortison dünner, die Gefahr des Dekubitus im Rollstuhl wächst. Gegen durch Cortison ausgelöste Magenprobleme und Knochenabbau (Osteoporose) gibt es mittlerweile geeignete Medikamente (Fosamax). Auch Immunglobuline werden huete bei CIDP eingesetzt. Eine sehr ausführliche Informationsbroschüre hat das Jüdische Krankenhaus in Berlin zusammengestellt und kann unter www.cidp-jkb.de/pdf/Gesamt.pdf heruntergeladen werden.

Nach einer Arbeit von Radziwill AJ, Kuntzer T, Steck AJ. , (Neurologische Universitatsklinik, Kantonsspital, Bale, Schweiz) Immunopathology and treatments of Guillain-Barre syndrome and of chronic inflammatory demyelinating polyneuropathy, Rev Neurol (Paris) 2002 Mar;158(3):301-10 werden bei der Therapie von CIDP im Zusammenhang mit neuen Erkenntnissen über das pathogenetsiche Netzwerk der Cytokine eine Modifizierung der T1-Helferzellen-Reaktionen mit Interferon in Betracht gezogen.

Wulf Schwick



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Arbeiten:

G. Pfeiffer
Dysautonomie bei Guillain-Barré-Syndrom
Der Nervenarzt
Verlag: Springer-Verlag Heidelberg
ISSN: 0028-2804 (Paper) 1433-0407 (Online)
DOI: 10.1007/s001150050414
Heft: Band 70, Nummer 2, Februar 1999 S. 136 - 148
oder HIER klicken.

S. Greiber, H. Just
Intensivmedizinische Behandlung des Guillain-Barré-Syndroms
Intensivmed 35: 50-55, (1998) Steinkopf Verlag
oder HIER klicken.

M.Bertram, R. Bartik, W.Hacke
Intensivpflege von Patienten mit Guillain-Barré-Syndrom
für die Intensivschwester/den Intensivpfleger
Intensivmed 37: 239-243, (2000) Steinkopf Verlag
oder HIER klicken.

GBS im Portal für Anästhesie- und Intensivpflege,
eine Fachveröffentlichung von Andreas Zowislo, März 2003

U. Dillmann, D. Ohlmann, G. F. Hamann, K. Schimrigk
Wertigkeit der Magnetstimulation und der F-Wellenbestimmung in der Diagnostik proximaler demyelinisierender Läsionen. Verlaufsbeobachtung einer akuten Polyradikulitis Guillain-Barré(GBS)
Der Nervenarzt, Volume 69 Issue 4 (1998) pp 338-341
oder HIER klicken.

A. Jaspert, H. Grehl, D. Claus, B. Neundörfer
Langzeitverlauf hochdosierter intravenöser Immunglobulin-therapie (IVIG) bei immunvermittelten Neuropathien
DGN Jahrestagung Magdeburg 1999.

S. Specht, R. Meyrer, F. Langkopf, A. Fellgiebel, D. Claus
Leitungsblockuntersuchungen in Diagnostik und Verlauf immunvermittelter Neuropathien
DGN Jahrestagung Magdeburg 1999.

Kalischewski, P.; Schaefer, A.; Schneider, D.
Immunadsorption als Aphereseverfahren bei Myasthenia gravis und Guillain-Barré-Syndrom
Intensivmed. 32 (1995) S. 501-502

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